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Rennen, bis nur noch einer steht – die verrückte Welt des Backyard Ultra

Rennen, bis nur noch einer steht – die verrückte Welt des Backyard Ultra

Der Australier Phil Gore ist 119-mal hintereinander eine 6,7 Kilometer lange Runde gelaufen. Er hat damit eine grössere Reichweite als jedes Elektroauto.

Remo Geisser

Auf geht's: Lazarus Lake, Erfinder des Backyard Ultra, schickt Läuferinnen und Läufer an der WM auf eine lange Reise.

Erinnern Sie sich an den Duracell-Hasen? Das war eine plüschige Werbefigur, ein Häschen, das endlos eine Trommel rührte, weil die in seinem Körper versteckte Batterie einfach nie müde wurde. In eine ähnliche Kategorie gehören die Backyard-Läufer, die in dieser Woche ihren Weltmeister erkoren haben. Sie laufen und laufen, bis nur noch einer steht.

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Das Format ist simpel und kann eigentlich überall ausgetragen werden – zum Beispiel in einem Backyard, also einem Hinterhof. Es wird eine 6,7 Kilometer lange Schleife angelegt, die man in maximal einer Stunde zurücklegen muss. Easy, oder? Wer schneller ist, kann pausieren, bis zur vollen Stunde der nächste Startschuss erfolgt. Und das geht dann endlos so weiter.

Weltmeister wurde der Australier Phil Gore mit 114 vollendeten Yards, knapp 764 Kilometern in 114 Stunden. Die letzte Runde hatte er in 37 Minuten absolviert; er war nicht am Ende der Kräfte, ihm waren bloss die Gegner ausgegangen. Wozu er fähig ist, hatte Gore Ende Juni gezeigt: 798 Kilometer in 119 Stunden.

Der Australier Phil Gore ist 119-mal hintereinander eine 6,7 Kilometer lange Runde gelaufen.

Anfang Oktober war auch in Deutschland ein Backyard Ultra ausgetragen worden, kräftig beworben vom Influencer Kim Gottwald und von André Schürrle, der 2014 mit Deutschland Fussballweltmeister wurde. Schürrles Batterie war nach gut 75 Kilometern leer, Gottwald lief knapp 450 Kilometer, wurde als Sieger ausgerufen und klappte dann zusammen.

Die folgenden Tage verbrachte Gottwald im Spital. Vor dem Abtransport hatte er noch röchelnd gesagt, er habe während des Laufs 8000 Milligramm Ibuprofen geschluckt – das entspricht zwanzig handelsüblichen Tabletten. Laut Medizinern kann diese Dosis lebensgefährlich sein. In einem Wett-Trommeln der Duracell-Hasen hätte man den Deutschen wohl disqualifizieren müssen, weil er statt einer Batterie einen Atomreaktor im Bauch hatte.

Gehen wir einmal davon aus, dass der Weltrekordler und Weltmeister Phil Gore drogenfrei läuft. Nach 119 Stunden ist er noch fähig, einen Endspurt hinzulegen und zu lächeln. Der Australier hat mit seinen fast 800 Kilometern die Reichweite jedes vom ADAC getesteten Elektroautos übertroffen, er lief innerhalb von knapp fünf Tagen so weit wie von Zürich nach Rom.

Könnten wir uns alle so lange wach halten wie Gore, wären unglaubliche Dinge möglich: Wir könnten uns zum Beispiel achtmal am Stück Wagners gesamten «Ring der Nibelungen» geben. Oder zweimal hintereinander sämtliche Folgen der Netflix-Serie «The Crown» ansehen. Oder fast 1600-mal Taylor Swifts Hit «Blank Space» dudeln lassen.

Würde man Menschen zu solchen Dingen zwingen, käme das bestimmt bei Amnesty International auf die Liste besonders perfider Foltermethoden. Dann doch lieber laufen und dabei die Seele baumeln lassen. Am Sonntagmorgen einmal 6,7 Kilometer rennen, das tönt doch ganz verlockend. Danach trinkt man einen Kaffee und versucht, sich vorzustellen, dass es Leute gibt, die jetzt locker noch zehn, fünfzig oder hundert Runden anhängen würden. Na dann, prost!

Ein Artikel aus dem «NZZ am Sonntag»

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