News: Dazn, Klub-WM, 50+1

In Berlin leben heißt Schlangestehen. Beim Bäcker. Im Restaurant. Vorm Club. Neulich sagte ein Kumpel den schmerzhaften Satz: „Es ist schon krass, was man in dieser Stadt alles mit sich machen lässt.“ Man nimmt es hin, stumpft ab, watschelt im Entenschritt mit 20 anderen Bewerbern in eine heruntergerockte Zweizimmerkaschemme. Warum? Kostet ja nur 900 Euro warm. Man steht 20 Minuten an, um sich für sechs Euro eine Zimtschnecke zu kaufen, die nicht nur staubtrocken ist, sondern am Ende auch noch nach Kapitulation schmeckt. Dazn funktioniert ganz ähnlich. Es ist gewissermaßen das Berlin-Mitte unter den Streaminganbietern. Denn auch hier ist es krass, was man alles mit sich machen lässt. Und wie sehr Dazn es bei der Klub-WM auf die Spitze treibt. Mit dem von Saudi-Arabien gepemperten Streamingdienst hat sich die Fifa einen Medienpartner geangelt, der charakterlich wunderbar zum Weltverband passt: Unisono hat man sich nämlich jeder lästigen Form von Anstand entledigt. Mittlerweile laufen bei Dazn nicht mehr nur aggressive Sportwettenclips vor und nach den Spielen, sondern seit Neuestem auch währenddessen – im Splitscreen. Das Spiel selbst wird dafür kurzerhand stummgeschaltet, der Ton wechselt zu „Tipico“, „Betano“ oder dem hauseigenen „Dazn Bet Club“. Es ist nur noch ekelhaft. Zumal zu befürchten steht, dass wir diese Art der Reklame noch häufiger sehen werden. Denn wenn die Fifa einem TV-Partner diese Möglichkeit schenkt, werden andere Rechtegeber künftig sehr genau erklären müssen, warum sie das nicht erlauben sollten.

In New Jersey startet der BVB gegen Fluminense ins Turnier. Später spielt River Plate gegen die Urawa Red Diamonds. Parallel kommt es bei der U21-EM zum Topspiel der Gruppe A: Spanien gegen Italien.

Das Bundeskartellamt hat die 50+1-Regelung geprüft – und hält sie nach wie vor für richtig und wichtig. Vereinzelt soll es Anpassungen geben, damit Basisdemokratie in deutschen Vereinen weiter gestärkt wird. Im Fokus der Überprüfung standen Leverkusen, Wolfsburg, Leipzig und Hannover. So soll es künftig keine Sonderregelungen, wie bei Bayer und VW, mehr geben. Intransparente Modelle wie in Leipzig ebenso wenig wie in Hannover, wo Martin Kind im vergangenen Jahr bei der Investorenfrage mutmaßlich gegen die Weisung des e.V. gestimmt hat. Aber wie ernst sind die Forderungen zu nehmen? „Wenn die Anpassungen nicht durchgesetzt werden, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis 50+1 vor einem Zivilgericht fallen wird“, sagt Sportrechtler Jörg Alvermann.

Heute vor 55 Jahren trug sich das „Jahrhundertspiel“ im Aztekenstadion zu. 4:3 schlugen die Italiener mit Facchetti, Boninsegna und Riva die deutsche Mannschaft um Beckenbauer, Seeler und Müller. Den sonst so distanzierten Kommentator Kurt Brumme hob es komplett aus den Socken. Er brach seinerzeit mit jedem Neutralitätsgebot, wie dieser Auszug zeigt:

30. Minute: „Boninsegna ist natürlich wieder an nichts schuld. Er hebt verschwörend die Arme und sagt: Mamma mia!“

71. Minute: „Herrgott, ist das Spiel jetzt schlecht geworden.“

74. Minute: „Yamasaki ist wohl der schlechteste Schiedsrichter, den ich gesehen habe in diesem Turnier. Absolut schlecht, absolut schlecht.“

81. Minute: „Ich spreche nicht gern über Schiedsrichter, möchte Ihnen aber zumindest sagen, dass das der schlechteste ist, den ich zumindest in diesem Turnier gesehen habe.“

83. Minute: „Das ist kein Fußball mehr. Das ist widerlich anzuschauen.“

90. Minute: „Auch Boninsegna, der Tote, der eben auf dem Boden lag … alle sind wieder munter und da. Mein Gott, ist das ein Fußball hier. Das ist ja entsetzlich. Das ist ja widerlich, was hier gespielt wird.“

90+2 Minute: Grabowski: Hinein, hinein! TOR! TOR! TOR! TOR! Und nun lasst uns eben Abbitte leisten! Der Mann, der hier so oft überlaufen wurde, der hat gegen Italien den Ausgleich erzielt. Eins zu eins steht es, eins zu eins. Karl-Heinz, wenn er es hören kann. Ich habe gar nichts gesagt.“

In Berliner Vintage-Stores geht für eins dieser Trikots auch mal eine Niere über die Theke. Aber aus welcher Saison stammen die Schmachtfetzen? Schickt Lösungen und Organe gerne an [email protected] . Gestern lautete die richtige Antwort Nando Rafael.

Habt einen schönen Dienstag!