Murat Yakin wäre davongelaufen: Noch immer weiss Pia Sundhage nicht, ob sie die Schweizer Fussballerinnen in die Zukunft führt

Nach der Heim-Euro zögert der Schweizerische Fussballverband die wichtigste Personalie für den Frauenfussball hinaus. Wo klemmt’s in der Trainerfrage?

Bernadett Szabo / Reuters
Die Schweizer Fussballer scheiden am 6. Juli 2024 im EM-Viertelfinal gegen England im Penaltyschiessen aus. Der Vertrag mit dem Nationaltrainer Murat Yakin ist mit dem Turnier ausgelaufen. Sechs Tage später kommuniziert der Schweizerische Fussballverband (SFV) die Verlängerung des Kontrakts mit Yakin bis 2025. Qualifiziert sich sein Team für die WM in den USA, ist Yakin bis zur Euro 2028 angebunden.
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Das fixe Salär des Trainers soll 2024 aber nur um 5 Prozent angehoben worden sein. Yakin verdient im Fixum im Millionenbereich sehr gut, aber offenbar nicht ganz so viel wie dessen Vorgänger Vladimir Petkovic und Ottmar Hitzfeld.
Die Schweizer Fussballerinnen scheiden am 18. Juli 2025 an der Heim-Euro im Viertelfinal in Bern gegen Spanien mit 0:2 aus. Der Frauenfussball ist von einer Welle der Sympathie durchs Land getragen worden. Die Nationaltrainerin Pia Sundhage bleibt bis Jahresende an den SFV gebunden.
Seit dem Turnier sind mehr als drei Monate vergangen – und noch immer ist unklar, ob die Schwedin das Frauenteam 2026 durch die schwierige Qualifikation für die WM 2027 in Brasilien führen wird. Eine solche Hängepartie wäre bei den Männern kaum vorstellbar.
Der SFV dürfte erst im November entscheidenSundhage hat schon unmittelbar nach der EM angedeutet, dass sie weitermachen will. Für den SFV kann es keine Überraschung gewesen sein, als sie dies letzte Woche bekräftigte.
Wie alle Trainerinnen und Trainer stellt Sundhage Bedingungen: Das Mandatsverhältnis ihrer schwedischen Assistentin Lilie Persson soll in eine 100-Prozent-Anstellung umgewandelt werden. Wie das bei den Männern implementiert ist.
Der SFV will im November entscheiden, ob Sundhage bleibt oder ob sie gehen muss. Zuerst müsse die für die nächsten Jahre geltende Strategie in der Frauenabteilung des SFV festgelegt werden, im Blickfeld sei neben der WM 2027 auch bereits die EM 2029, sagt Marion Daube, im Verband als Direktorin für den Frauenfussball zuständig. Der SFV lässt sich Zeit, sagt nicht ja oder nein, sondern immer noch eventuell.
Bei den Männern gäbe es in einer solchen Konstellation, die nach einem Turnier für einen Neustart steht, nur zwei Optionen: Entweder dem Coach sofort mit einem neuen Vertrag demonstrativ den Rücken stärken. Oder die sofortige Trennung veranlassen und möglichst früh Neuem Platz schaffen und allenfalls einen Generationenwechsel vorantreiben.
So wüsste jede potenzielle Nationalspielerin: Hier geht’s lang, und zwar schon jetzt, 2025, in Trainings und Testspielen. Sollte Sundhage weichen müssen, sind die vier Länderspiele im Oktober und November wie für die Katz.
Unerwartet viel ZerrissenheitMit den Finanzen kann das SFV-Zeitspiel nicht begründet sein, obschon die Kosten für die Nationaltrainerin nach dem Wechsel von Inka Grings zur Welttrainerin Sundhage 2023/24 gestiegen sind.
2024 kostete das Trainerteam der Frauen den Verband 610 000 Franken. Bei den Männern waren es 1,9 Millionen (ohne EM-Prämien). Das zusätzliche, jetzt zur Debatte stehende Salär für die Assistentin kann kein Hindernis sein. Gleichzeitig könnte man im SFV auch auf die Idee kommen, einer hiesigen Trainerin Perspektiven an der Seite von Sundhage eröffnen zu wollen.
Dass noch Unklarheit in der Trainerfrage herrscht, kann nur so gedeutet werden: Da ist unerwartet viel Zerrissenheit, ob es mit Sundhage weitergehen soll oder nicht. Man müsse die Emotionen von den Fakten trennen, heisst es vom Verband. Auch im Team ist die Unterstützung durchzogen. Sundhage ist 65 Jahre alt und unabhängig, muss sich und der Welt nichts mehr beweisen. Sie hat reichlich (Turnier-)Erfahrung und coachte früher während dreizehn Jahren die Frauenauswahlen der USA, Schwedens und Brasiliens.
Aber Sundhage wurde in den letzten Monaten auch von Zweifeln heimgesucht. Mal flammte die Liebe zur Schweiz auf, als sie merkte, wie sich das Land mobilisieren lässt, dann kühlte sich die Beziehung wieder ab. Es war ein Auf und Ab, eine Art On-off-Beziehung: für Sundhage, für den SFV, für Daube, für die Spielerinnen, für die Medien, für das Publikum.
Die Schweizerinnen merkten, was EM heisstSundhage forderte vor der EM viel – für manche Spielerinnen körperlich zu viel, was damals Diskussionen auslöste. Doch die Fussballerinnen merkten spätestens in den EM-Partien gegen die Nordländerinnen aus Norwegen (1:2), Island (2:0) und Finnland (1:1), wie zentral die Physis geworden ist. Der einen oder anderen Schweizerin ging bei jedem Zweikampf die Augen auf: Da wird zugelangt.
Und nicht zu vergessen: Ein paar Wochen vor dem EM-Start stiegen die Schweizerinnen Anfang Juni nach einer 0:1-Niederlage gegen Norwegen aus der A-Gruppe der Nations League ab. Viele Fragen schwirrten durch die Luft. Nach dem bitteren Abend in Sitten hätte niemand auf eine gelungene Schweizer EM und eine weitere Zusammenarbeit mit Sundhage zu wetten gewagt.
Die Heim-Euro mit dem Trubel und den vollen Arenen war emotional viel. Auszeiten waren die Folge. Sundhage grüsste aus Schweden, wo sie Freundschaften pflegte. Marion Daube nahm länger Ferien. Der emotionale Haushalt war bei vielen leer, Gefühle mussten neu sortiert werden. Zudem wechselte per Ende Juli das SFV-Präsidium von Dominique Blanc zu Peter Knäbel.
Als Knäbel zu Beginn seiner Amtszeit auf die Personalie Sundhage angesprochen wurde, winkte er ab. Er wollte sich (noch) nicht einmischen. Auch von dieser Seite blieb Druck weg. Kommt dazu, dass im SFV Strategie- und Budgetsitzungen erst dieser Tage vonstattengehen.

Jean-Christophe Bott / Keystone
Eines steht fest: Die unangefochtene Nummer eins im Schweizer Frauenfussball ist das Nationalteam. Weniger als fast alleiniger Mittelbeschaffer des SFV wie die Männer, sondern als Schaufenster, Transporteur und Imageträger. Als Lokomotive einer Bewegung, die am Heimturnier unerwartet viel Fahrt aufgenommen hat und nun stillzustehen droht. Im Zentrum dabei: die Trainerstelle des Nationalteams.
Yakin hätte sich das kaum bieten lassenEs mag Gründe geben für die unklare Lage an der Spitze des Frauenteams. Doch das Beispiel Pia Sundhage zeigt, dass der Frauenfussball immer noch zweitrangig und weniger durchleuchtet ist. Für den Verband und dessen Direktionen, für die Funktionäre, für das Publikum, für die Medien. Über 90 Tage sind nach dem letzten Schweizer EM-Match vergangen. Bei den Männern wäre die EM-Analyse forciert worden, da sind auch weit mehr Ressourcen vorhanden.
Murat Yakin wäre anstelle von Pia Sundhage davongelaufen. Zumal Sundhage bei ihrer Ankunft Anfang 2024 wegen ihres Renommees nicht mit Yakin, sondern mit dem früheren Schweizer Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld verglichen worden ist.
nzz.ch