Die finanzielle Pleite ist bei Eike Immel nicht mal das größte Problem

Ex-Nationaltorhüter Eike Immel lebt heute auf Staatskosten. Dabei sind Geldprobleme in der Abwärtsspirale nur ein Teil des Problems. Ursache allen Übels ist eher die Unselbständigkeit vieler Fußballprofis.
- Im Video: Früher Millionen, "heute lebe ich von 563 Euro": Ex-Fußball-Star zeigt verlotterte Wohnung
Mit offenem Mund haben wir im Strafprozess in London erfahren müssen, wie unser aller Boris Becker sein Vermögen über Jahre verbrannte und am Ende in den Knast musste. Dabei hatte der einstige Tennis-Star noch Glück. Er kam rechtzeitig aus dem Gefängnis, brachte sein Leben in Ordnung und ehelichte seine Lilian. Schon bald wird er zum fünften Mal Vater.
So viel Glück hatte Eike Immel nicht. Er war mal Nationaltorwart (19 Länderspiele), durfte bei Teamchef Franz Beckenbauer zu großen Turnieren mitfahren und hätte als Torhüter nach der Deutschen Meisterschaft 1992 zur Legende beim VfB Stuttgart werden können. Aber seit seiner Privatinsolvenz 2008 kam er nie wieder auf die Beine.
Jetzt im August 2025 verurteilte ihn das Amtsgericht Marburg zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft wegen Betrugs in 107 Fällen. Ein ehemaliger Mannschaftskollege erzählte mir, wie sinnlos jeder Hilfeversuch bei Eike Immel ausgeht. Einmal hatten frühere Mitspieler 24.000 Euro für die fällige Hüft-OP zusammengelegt. Aber ihr Freund ging einfach nicht zum Arzt.
Er wollte das Geld, wie sie herausfanden, lieber verzocken, wie er’s immer getan hatte, wenn ihm Bekannte ein paar Scheine zugesteckt hatten. Weder das schnelle Honorar beim Dschungelcamp noch andere Zuwendungen rissen ihn vom Abgrund weg. Als RTL2-Reporter den Ex-Profi in der Wohnung in Stadtallendorf (bei Marburg) besuchten, filmten sie Schockierendes.

Die Wohnung sei völlig verdreckt gewesen, Eike Immel selbst „in einem desolaten Zustand“. Er musste zugeben: „Ich bin überhaupt nicht eigenständig.“ Das ist wohl die Ursache allen Übels: die Unselbständigkeit. Der heute 64-Jährige mag aus einer anderen Spielergeneration stammen. Aber damals wie heute steckt der Fehler im System.
Fußballtalente mit dem besonderen Ballgefühl sind bei jeden Klub ein Versprechen auf die Zukunft. Den Prinzen im Internat wird alles abgenommen: Wäsche waschen, staubsaugen, Müll wegbringen - wird erledigt. Wenn nicht von Mama und Papa, dann vom Verein. Der Sohnemann soll sich alleine aufs Fußballspielen konzentrieren. Das und sonst nix.
Das hat Konsequenzen, wenn die All-Inclusive Zeit endet. Ich habe von Jungprofis gehört, die mit einer Banküberweisung samt IBAN überfordert waren. Sie waren es ja sogar gewohnt, dass sich Fahrschulen mit dem Unterricht nach den Trainingsplänen richteten. Schlangestehen vor der Bar? Nicht für Jungprofis. Die haben nur zwei unsichtbare Gegenspieler zu überwinden.
Die heißen: Druck und Langeweile. Als Außenstehender unterschätzt man beides vielleicht. Man muss sich das so vorstellen: Da ist ein Rudel junger Männer, von denen jeder Einzelne weiß, dass es am Wochenende nur elf Arbeitsplätze zu besetzen gibt. Der Rest, der draußen sitzt, kriegt das Gefühl nicht aus den Klamotten: Ich bin nur zweite Wahl. Heißt: nicht so wichtig.

Ein stabiler Charakter sucht nach Lösungen, schart zuverlässige Berater um sich, organisiert Abwechslung und Ausgleich in der Freizeit. Andere verfallen ihren Schwächen. Uli Borowka, Ex-Profi von Werder Bremen, hat das mal anschaulich geschildert: Zwischen den Trainingseinheiten pumpte er sich literweise mit Alkohol zu, um dieses Loch zu füllen.
Wir reden hier nicht von einem Bier überm Durst, sondern von Kisten und dazu Flaschen mit Hochprozentigem. Später, nach der Karriere, als alles den Bach runterzugehen drohte, konnte Uli Borowka frei Schnauze darüber reden. Vorher nicht wirklich. Sogar der große Gerd Müller kam nicht dagegen an. Beide fingen sich wieder. Selbstverständlich ist das nicht.
Das System Profifußball sieht kein Fangnetz vor. Schon B-Jugendliche, Teenager zwischen 15 und 17 Jahren, kassieren Geld in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesliga. Die einen 500 Euro im Monat, die anderen das Doppelte bis Dreifache: Das ist kein Taschengeld mehr, sondern in diesem Alter ein kleines Vermögen. Man ahnt die Gefahr schon.
Wenn man Glück hat (und ein gutes Elternhaus), wandert das Einkommen aufs Sparkonto. Ist die Geltungssucht größer, findet der Druckausgleich im nächsten Klamottenladen, beim Zocken um Geld oder beim Drink mit Freunden statt. Hauptsache, die Langeweile ist für ein paar Stunden weg: Es zählt ja nur, was auf dem Rasen passiert. Borowka spielte dort immer volle Pulle.

Als ihm ein Mitspieler auf die Schliche kam, dass er nicht ganz nüchtern war, wollte Borowka ihm an den Kragen. Seine Sucht mochte er vermutlich nicht wahrhaben, zumindest: Sie sollten nicht öffentlich werden. Die Wahrheit darf nicht ans Tageslicht. Darum sind wir alle plötzlich überrascht, wenn wir erfahren wie ein Fußballstar wie Eike Immel so auf die schiefe Bahn gerät.
Man ahnt deshalb nur, dass die Dunkelziffer viel größer ist. Geldprobleme sind ja nur ein Teil des Problems. Das Schweigen verhindert ja, dass Hilfsangebote kommen, bevor die Abwärtsspirale ihren vollen Sog entwickelt. Als bei Eike Immel das Kartenhaus zusammenbrach, war die Sucht längst zur chronischen Krankheit mutiert. Wir Voyeure konnten es nicht glauben.
Wir sehen immer nur den Starkicker in den Spielern. Nico Patschinski, früher Union Berlin und Dynamo Dresden, ging nach der Karriere pleite und arbeitete als Küchenhilfe. Bei „11Freunde“ erklärte er sein Leben mit einem Zitat des legendären George Best: „Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst.“
Mit so viel Humor kann Eike Immel sein Leben nicht mehr nehmen. Er lebt inzwischen auf Staatskosten in seiner kleinen Wohnung, verbüßt seine Strafe und kann nur wenig Hoffnung haben, dass er irgendwann Licht am Ende des Tunnels sieht. Welche Klub nimmt einen wie ihn noch? Der Darwinismus des Profifußballs hat ihn ausgespuckt.
FOCUS




