Der FC Barcelona ist zum 28. Mal spanischer Meister. Trainer Flick sagt: «Wir fühlen uns wie eine echte Familie»

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Passender hätte der Meisterschütze nicht sein können: Mit einem Traumschuss brachte Lamine Yamal den FC Barcelona am Donnerstagabend im Derby bei Espanyol auf Kurs.
Es war ein typisches Tor für den 17-Jährigen, nach einem Dribbling von der rechten Seite beförderte er den Ball scheinbar anstrengungslos mit links in den entfernten Winkel. Und es besiegelte die «Liga von Lamine», wie die Madrider Sportzeitung «As» titelte. Yamal ist längst auch die Gegenwart des Fussballs. Die Zukunft ist er sowieso.
Auf Vorlage Lamines in der Nachspielzeit erzielte Fermín López noch das 2:0. Mit sieben Punkten Vorsprung liegt Barça zwei Spieltage vor Schluss uneinholbar vor Real Madrid, es ist die 28. Meisterschaft der Klubgeschichte und, nach dem Pokalsieg im Final gegen Real, das neunte Double. Der Match bei Espanyol selbst war allerdings eher das Gegenteil des leichten, heiteren Barça-Fussballs dieser Saison.
Kurz vor Beginn des Spiels war es zu einem verstörenden Zwischenfall gekommen, als ein Auto mitten in eine Fangruppe hineinfuhr. Dass trotzdem angepfiffen wurde, verleitete einen Teil der Espanyol-Ultras aus Protest zu einem Spielboykott. Während der Partie flogen Becher auf das Spielfeld, wurde der Barça-Verteidiger Alejandro Balde rassistisch beleidigt. Und Espanyol-Profi Leandro Cabrera flog beim Stand von 0:1 wegen eines Schlags in den Magen von Yamal vom Platz.
Wassersprinkler statt ausufernde MeisterfeierNach dem Abpfiff konnten sich die neuen Meister auf dem Rasen nur ein sehr kurzes Tänzchen leisten, dann wurden sie von ihren Gegnern gemassregelt, und Espanyol liess die Wassersprinkler andrehen. Derweil die Polizei massiv vor dem Fanblock auflief, um eine Jagd auf die Barça-Profis wie vor zwei Jahren zu verhindern. Auch damals hatte Barça den Titel bei Espanyol gesichert. Warum die Liga dieses Hochrisikospiel – seit Jahrzehnten sind bei ihm keine Gästefans zugelassen – erneut auf einen der besonders kritischen letzten Spieltage terminierte, bleibt ihr Geheimnis.
Bevor später die Polizei eine Medienkonferenz über das irrlichternde Auto gab – eine Fahrerin verlor die Nerven, 14 Verletzte, kein Verdacht auf einen terroristischen Hintergrund – , tauchte allerdings erst mal Hansi Flick im Pressesaal auf. Der 60-Jährige wurde sogleich gefragt, was er an der Meistermannschaft herausheben würde. «Boah», sagte er da, «ich glaube nicht, dass wir so viel Zeit haben.» Dann entschied er sich als wichtigste Eigenschaft dafür, «dass wir uns wie eine echte Familie fühlen». Der ehemalige Coach des FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft fügte hinzu: «So eine grossartige Stimmung in der Kabine habe ich noch nirgends gehabt.»

Sergio Ruiz / Pressinphoto / Imago
Verantwortlich für sie ist ein Trainer, den die Fans auf Plakaten als den «Heiligen Hans-Dieter» verehren. Es mag die Liga von Lamine sein. Auch die seines Angriffskompagnons Raphinha, der mit wettbewerbsübergreifend 34 Toren und 25 Vorlagen mehr Tor-Beteiligungen aufweist als jeder andere Spieler aus Europas grossen Ligen. Gewiss die des Spielmachers Pedri, vom ehemaligen Real-Regisseur Toni Kroos gerade zum Weltbesten seiner Position geadelt. Oder des im Oktober vom Strand weg akquirierten Torwarts Wojciech Szczesny. Ganz unbestritten ist es aber auch die Liga Flicks.
Aus einer im Vorjahr deprimierten Mannschaft hat er eine Elf geformt, die ihren Zuschauern den Atem stocken lässt. Mit bislang 169 Toren schoss sie mehr als jede andere in Europas grossen Ligen. Durch das 4:3 gegen Real am vergangenen Sonntag avancierte sie zudem zum ersten Jahrgang beider Vereine, der in einer Saison vier von vier Clásicos gewann. In jener Partie gelang Barça darüber hinaus ein Kunststück, das wie wohl kein anderes für die Art dieser Meisterschaft steht: Zwischen der 14. und der 38. Minute erlaubte sie Real nicht einen einzigen Pass in der gegnerischen Hälfte.
Mehr Cruyff als Cruyff selbstDie Kritiker könnten begeisterter nicht sein. «Wir haben es ohne Zweifel mit dem unterhaltsamsten Barça der Geschichte zu tun», schrieb die klubnahe «Sport» nach dem Clásico in einem Leitartikel. «Nicht einmal Cruyff war so ein Cruyffist, nicht einmal er applizierte auf so methodische Art und Weise sein eigenes Credo, dass man einfach nur ein Tor mehr als der Gegner schiessen muss, egal wie viele man selbst bekommt.»
Auch international spricht die Branche wieder voller Anerkennung über ein Kader, das zur Hälfte aus selbst ausgebildeten Spielern besteht. Für einen Verein, dem sein historisches Image als Botschafter des staatenlosen Kataloniens immer noch wichtig ist, bedeutet das eine grosse Erleichterung. Etliche Skandale um Schulden (über eine Milliarde Euro), Spionage («Barçagate») oder Schiedsrichter («Negreira») hatten den Fans in den letzten Jahren nicht minder zugesetzt als die regelmässigen Blamagen im Europacup. Doch die Unverbrauchtheit der derzeitigen Elf und ihre positive Spielauffassung haben die Affären aus den Schlagzeilen verbannt.
Bevor Flick im Sommer an der Schwäche des Teams arbeiten will, den vielen Gegentoren, machten seine Spieler in der Nacht erst einmal Barcelona unsicher. Und an diesem Freitag ab 18 Uhr wird die Stadt ihre liebste Familie bei einem grossen Strassenumzug feiern.
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