Vor 30 Jahren kletterte Alexander Huber am El Capitan – ein Tiroler schoss Bilder davon, die um die Welt gingen


Juni 1995 im Yosemite Valley, Kalifornien: Alexander Huber klettert durch die Salathé an der Felsformation El Capitan. Die Route, benannt nach dem amerikanisch-schweizerischen Kletterpionier John Salathé, gehört zu den Klassikern am Granit-Monolithen, der tausend Meter über den Talboden aufragt.
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Niemand hat sämtliche 35 Seillängen der Route je frei begangen – bis dem Deutschen Alexander Huber der Coup gelingt. Sein Seilpartner: Heinz Zak. Der Tiroler, der schon viele Routen im Yosemite absolviert hatte, sichert Huber. Aber nicht nur das. Er wird anschliessend die Fotos von Huber in der Salathé machen, die die Kletterwelt verändern.
Aufnahmen aus Big Walls waren bis dahin ein Nebenprodukt gewesen. Fotos entstanden überwiegend am Standplatz, wenn gerade eine Hand frei war. Es wurde aus der Hüfte geschossen, dem Vorsteiger hinterherfotografiert – deshalb war oft das Hinterteil gross im Bild.
Für die Fotos damals steigt Zak vor Huber hinauf oder seilt sich an ausgesetzten Stellen ab, sucht die ideale Position und fotografiert dem Kletterer entgegen. Mitte der 1990er Jahre gibt es weder Instagram noch Facebook, trotzdem verbreiten sich die Fotos von Huber mit Gentic-Hose und nacktem Oberkörper auf der ganzen Welt.
Heute würde man sagen: Die Aufnahmen aus der Headwall der Salathé gehen viral. Ob «Rotpunkt» oder «Climbing»: In jedem bedeutenden Kletterland heben die Klettermagazine diese Fotos auf den Titel. Sie sind die einzige Quelle und Inspiration für Kletterer.
Huber und Zak definierten die Fotografie in Big Walls neu. Nie zuvor hatte jemand gewagt, in die für Aussenstehende schwindelerregendsten und spektakulärsten Fotopositionen zu kommen. Auf die Frage, wie die Aufnahmen entstanden seien, antwortet Zak: «Ich hatte einfach das Glück, die Route gut zu kennen. Und vor allem hatte ich keine Angst vor der unglaublichen Ausgesetztheit.» In Alexander Huber hatte er dafür den idealen Partner gefunden. Der machte alles, damit Zak die besten Fotos bekommen konnte.
Zak überlässt nichts dem Zufall. Gleich mehrere Tage warten er und Huber auf das optimale Licht. «Und zwar den ganzen Tag», erzählt Huber, «damit ich in den fünf Minuten, wo das Licht so war, wie es Heinz haben wollte, an der richtigen Stelle war».
Dann braucht es doch einen weiteren Versuch. Sie sind schon zurück im Tal, als bei Zak Zweifel aufkommen, ob es nicht noch besser ginge. Digitalkameras gab es noch nicht, mit denen man davor oben am Fels schnell die Qualität hätte überprüfen können. Noch einmal steigen sie deshalb mit Sack und Pack und Kamera tausend Meter die Wand hinauf. Huber sagt, es sei ein «brutaler Aufwand» gewesen, das dafür notwendige Material in die Wand zu bringen. «Heinz und mir war nichts zu blöd. Ich hatte Vertrauen in ihn – und er in mich.»
Schliesslich zahlt sich das für beide aus. Zak erhöht mit seinen Aufnahmen seinen internationalen Bekanntheitsgrad. Für Huber sind sie der Startschuss in ein Leben als Profikletterer. Damals noch Physikstudent, bekommt er für einen Vortrag auf einen Schlag 2000 D-Mark Fix-Honorar – statt, wenn alles gut geht, eine freiwillige Spende, die Besucher in seinen Hut werfen.
Nachfrage beim Fotografen Robert «Röbi» Bösch in Oberägeri (ZG) zu den Aufnahmen aus der Salathé und dem Fotografieren damals. Er sagt: «Der Granit am El Capitan ist optisch einmalig und unglaublich gut für die Fotografie. Gleichzeitig ist es extrem aufwendig und anstrengend, dort zu fotografieren. Das Resultat waren Bilder auf einem neuen Level.» Bösch hat sich selbst als Fotograf auf das gefährliche und komplizierte Terrain der hohen Wände an Eiger, Matterhorn und Montblanc begeben, er ist heute noch voll des Lobes über Zak und Huber.
Risikokultur vermittelnDie 1980er und 1990er bezeichnet Bösch als eine Zeit, in der die Outdoor-Bewegung gross geworden sei. «Fotografisch herrschte da Goldgräberstimmung.» Im deutschsprachigen Raum habe sich damals eine Handvoll Fotografen darauf eingelassen, mit Topathleten und mit mehr Aufwand und Mühe neue Bildwelten zu erschaffen. Neben Zak und Bösch gehören Peter Mathis, Gerhard Heidorn und Uli Wiesmeier zu diesem Kreis.
Gemeinsam gaben diese Foto-Pioniere dem Outdoor-Sport mit viel Fingerspitzengefühl ein Aussehen, machten ihn zugänglich für die breite Öffentlichkeit und verliehen ihm so neue Impulse. Auch, um jungen, übermotivierten Sportlern ein Stück weit Risikokultur zu vermitteln.
Das wirkt bis heute nach. Der Tscheche Adam Ondra, der zurzeit weltbeste Kletterer, schreibt in seinem Vorwort für das im vergangenen Jahr erschienene Buch «The Art of Climbing» von Simon Carter: «Ich bin sicher, dass die Fotografie eine grosse Rolle dabei spielt, neue Generationen von Bergsteigern zu inspirieren, ihre ersten Schritte in die vertikale Welt zu wagen – eine Aktivität, die vielen bizarr und sinnlos erscheinen mag. Warum auf einen Felsen klettern, wenn man einfach von der anderen Seite zum Gipfel laufen kann?»
Ondra erzählte einmal, weshalb er sich schon als Kind in den Kopf gesetzt hatte, Kletterer zu werden. Das Buch «Rock Stars» von Heinz Zak habe er damals in die Hände bekommen, und beim Durchblättern sei ihm eines aufgefallen: «Die Kletterer schauten alle so glücklich und zufrieden. So wollte ich auch werden.»
Jahre später zogen Zak und Ondra miteinander los. Es ging ins Yosemite Valley. Zak fotografierte Ondra bei der ersten freien Begehung der Dawn Wall, einer Route, für die Erstdurchsteiger neunzehn Tage brauchten, nachdem sie sieben Jahre lang immer wieder in der Wand gewesen waren und die Route ausgecheckt hatten.
Dreissig Jahre sind seit dem Coup von Huber und Zak in der Salathé vergangen. Sie sahen erst am Leuchttisch des Fotografen zu Hause in Scharnitz in Tirol, dass sich die Mühe gelohnt hatte. Heute lassen sich schon mit dem Mobiltelefon beeindruckende Aufnahmen machen und in Windeseile in der ganzen Welt verbreiten.
Einen nicht unerheblichen Unterschied gibt es aber, wie Röbi Bösch meint: Viele Handyaufnahmen hätten zwar eine ansprechende Qualität, aber sie reichten nie an das heran, was etwa Heinz Zak am El Capitan fotografiert habe. Aufwand und Sorgfalt beim Gestalten der Bilder haben eben doch eine besondere Wirkung.
nzz.ch