Milans Interesse an Xhaka: Bayer und der gefährliche Dominoeffekt

Kaum ein Tag vergeht ohne eine Geschichte über einen abwanderungswilligen Bayer-Profi. Die Wirkung gerade nach innen ist problematisch. Das gilt auch im Fall Granit Xhaka. Der Klub muss dagegen steuern.
Bezieht derzeit keine klare Position: Granit Xhaka. picture alliance / NurPhoto
Mit Jonathan Tah (Bayern München) und Jeremie Frimpong (FC Liverpool) sind zwei Leverkusener Leistungsträger bereits Geschichte. In dieser Woche wird sich Topstar Florian Wirtz, den es ebenfalls nach Liverpool zieht, einreihen in die Liste der schmerzhaften Abgänge des deutschen Vizemeisters.
Das Szenario ist normal, aber der Zungenschlag ungewohntDass ein Klub wie Bayer 04 immer wieder auch Spieler verkaufen muss, ist ein bekannter Ablauf. Hat der Double-Gewinner doch aus solchen Transfers immer wieder die wirtschaftliche Substanz für anschließende sportliche Erfolge gezogen. So soll es auch in diesem Sommer geschehen.
Wobei das Szenario im Moment einen ganz neuen, für Bayer 04 eher ungewohnten Zungenschlag besitzt. Haben die praktisch feststehenden Abgänge von Schlüsselfiguren wie Wirtz, Frimpong, Tah und auch Erfolgstrainer Xabi Alonso doch für einen gefährlichen Dominoeffekt gesorgt. So vergeht kaum ein Tag, an dem kein gestandener Bayer-Profi mit einem Wechsel in Verbindung gebracht wird, wenn es der betreffende Spieler nicht gar selbst tut.
Die Spieler selbst heizen das Thema anSo sinnierte Linksverteidiger Alejandro Grimaldo mal wieder öffentlich in einem Interview über einen Wechsel nach Spanien. Innenverteidiger Piero Hincapie sieht sich laut seinem Berater bereit für den nächsten Karriereschritt und einen Wechsel zu einem europäischen Topklub.
Torhüter Lukas Hradecky schließt eine Luftveränderung nicht aus, wenn ihn ein Klub als klare Nummer 1 sieht und dem finnischen Nationalkeeper damit mehr Spielzeit in Aussicht stellt, als es nach der Verpflichtung von Brentfords Mark Flekken in Leverkusen zu erwarten ist. Nationalspieler und Sechser Robert Andrich hat für den Fall, dass er weiterhin größtenteils Reservist ist, angesichts seiner dann schwindenden WM-Chancen seinen Wechselwunsch ebenfalls formuliert.
Mehr als ein halbes Dutzend Profis stellt seine Zukunft bei Bayer infrageOffensivakteur Jonas Hofmann hatte bereits unter Xabi Alonso als Dauerreservist seinem Frust und seinen Wechselgedanken freien Lauf gelassen. Und Mittelstürmer Patrik Schick ließ jüngst seinen Verbleib bei Bayer 04 ebenfalls erneut offen.
Sechs Profis, die in der Vergangenheit Säulen des Leverkusener Erfolgs waren, stellen ihre Zukunft unter dem Bayer-Kreuz infrage, und heizen das Thema selbst an. Das hat auch die größte verbliebene Schlüsselfigur in den vergangenen Wochen wiederholt getan: Granit Xhaka.
Milan-Sportdirektor Tare hat Xhaka auf der AgendaErst kündigte er seine unrealistische baldige Rückkehr zum FC Basel im dortigen St. Jakob-Park vor vollbesetzten Rängen an. Dann ließ er während der US-Tour der Schweizer Nationalmannschaft bei einer Pressekonferenz offen, ob er auch kommende Saison Bestandteil der Werkself sein würde. Ehe sich die AC Mailand als Interessent für den 32-jährigen Mittelfeldstrategen meldete.
Der dortige neue Sportdirektor Igli Tare hat Thema Xhaka auf der Agenda, das nach der Verpflichtung von Real-Altstar Luka Modric (39) angegangen werden soll. Sofern diese Idee die Zustimmung von Milans Klubbesitzer findet. Laut diverser italienische Quellen möchte Milan in der anstehenden Woche Kontakt zum Bundesligisten aufnehmen. Doch davon weiß Bayer (noch?) nichts.
Bayer bräuchte jetzt Aufbruch- statt Untergangstimmung
Neuer Milan-Sportdirektor: Igli Tare. IMAGO/LaPresse
Ob Tare und Milan aktiv werden, ist dabei gar nicht das Entscheidende. Vielmehr ist die Innenwirkung dieser und all der anderen Abgangsgeschichten aktueller Bayer-Profis eine gefährliche. Vermitteln sie doch den verbliebenen Stars den Eindruck, dass die Köpfe alle gehen oder gehen wollen.
Dabei bräuchte Bayer jetzt eine Aufbruch- statt einer Untergangsstimmung. Xhaka wäre für diese Kampagne die ideale, aber auch fast schon einzige verbliebene Lokomotive. Doch für diese Rolle steht der Routinier offensichtlich nicht bereit.
Subjektiv entsteht das Bild einer auseinanderfallenden MannschaftSo wird der Klub die klaren Signale setzen müssen. Durch starke Transfers, die dem Kader frische Substanz zuführen und den Glauben an den Titelanwärter Bayer 04 aufrecht erhalten bzw. diesen wieder stärken. Und durch klare Statements: nach innen, um bei den Spielern die Wertschätzung erneut zu hinterlegen - und nach außen, um die wachsenden Fragezeichen wegzuwischen.
Denn egal, ob diese objektiv betrachtet berechtigt sind, stellt ihre subjektive Wahrnehmung den Nährboden für ein ungesundes Stimmungsbild dar. Ein Bild, das eine auseinanderfallende Top-Mannschaft zeichnet. Und damit für eine Wahrnehmung bei Xhaka, Grimaldo und Co. sorgt, die in diesem manchmal irrationellen Business schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann.
Jedes bedingungsloses Bekenntnis wäre für Bayer jetzt hilfreichJedes eindeutige Handeln, jede vertrauensbildende Maßnahme, jedes unmissverständliche Wort, jedes bedingungsloses Bekenntnis, jede kein Hintertürchen offen lassende Ansage der Klub-Bosse Fernando Carro und Simon Rolfes oder auch von Trainer Erik ten Hag kann Bayer 04 dabei nicht nur im Fall Xhaka nur hilfreich sein. Bevor sich das Stimmungsbild des Zerfalls verselbständigt.
kicker