Jetzt ist seine Schonfrist vorbei: Im Clásico gegen Barcelona steht der neue Real-Trainer Xabi Alonso auf dem Prüfstand

Die Resultate stimmen meist, seit der Baske Real Madrid übernommen hat, doch die Leistungen sind mässig geblieben. Im Clásico gegen Barcelona soll er den Klub nach vielen Demütigungen wieder einmal zu einem Sieg führen.
Florian Haupt, Barcelona

Violeta Santos Moura / Reuters
In Zeiten der Videohandys bleibt wenig geheim, und so weiss die Fachwelt über den Fussballer Jude Bellingham nun auch, dass er es mit den Verkehrsregeln nicht so eng sieht. Offenkundig genervt von drei Autogrammjägern, ignorierte der Engländer in der Nacht zum Donnerstag auf dem Weg nach Hause eine rote Ampel. Gehupe war die Folge und beinahe ein Unfall.
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Jeder Normalbürger hätte jetzt ein gewichtiges Problem. Aber Bellingham ist bekanntlich kein Normalo, sondern ein Star des Weltfussballs und Galáctico im Mittelfeld von Real Madrid. Bevor er in jener Nacht in seinen schwarzen SUV stieg, hatte er mit einem instinktsicheren Vorstoss das 1:0-Siegtor in der Champions League gegen Juventus Turin erzielt.
Für Bellingham, der nach einer Verletzung zu seiner Form und der richtigen Position zurückzufinden versucht, kam das Erfolgserlebnis zu einem guten Zeitpunkt. Für sein Team sowieso: Am Sonntag steht der Clásico gegen den FC Barcelona an, da braucht es Selbstbewusstsein – in der vergangenen Saison verloren die Madrilenen alle vier Aufeinandertreffen in Liga, Pokal und Supercup bei einem Torverhältnis von 7:16.
Bisher stimmen bei Alonso nur die Ergebnisse – meistensDie verkorkste Spielzeit führte zur Trennung vom Trainer Carlo Ancelotti und zur Bestellung des ehemaligen Real-Mittelfeldspielers Xabi Alonso zum Nachfolger. Dieser soll das Team grundlegenden Reformen unterziehen. So richtig erfüllt hat der Baske die Hoffnungen allerdings noch nicht.
Zwar stimmen die Ergebnisse meistens, der Hauptstadtklub geht mit zwei Punkten Vorsprung auf Barcelona in den Clásico. Aber souverän oder gar überschwänglich waren die bisherigen Darbietungen von Real kaum, es benötigte einiges Schiedsrichterglück und häufiger auch einmal Glanzparaden des Goalies Thibaut Courtois. «Die versprochene Verbesserung ist schleppend, bisweilen kaum wahrnehmbar», so die Zwischenbilanz der vereinsnahen Sportzeitung «As».
Alonso selbst bittet um Geduld: «Wir sind in der Aufbauphase», lautet sein Mantra. Nach der Amtsübernahme zur Klub-WM und mit entsprechend wenig Vorlauf zum Einstudieren eigener Systeme wurde ihm diese Zeit bisher auch zugebilligt. Doch am Sonntag gegen den ärgsten Rivalen läuft die Schonfrist ab, nachdem schon der Match gegen den zweitärgsten Rivalen grandios danebenging.
Im Derby bei Atlético gab es vorigen Monat ein 2:5. So viele Gegentore hatte Real vom Nachbarn in einem Pflichtspiel seit 75 Jahren nicht kassiert. Allzu viel erinnerte dabei an das letzte Ancelotti-Jahr, als Real nach dem Karriereende des Spielmachers Toni Kroos der Kompass fehlte und sich die Schieflagen gegen hochkarätige Gegner in gnadenloser Regelmässigkeit offenbarten.
Der Taktgeber im Mittelfeld fehlt immer nochDer neue Trainer Alonso hatte Reals Strukturproblem im Vorfeld treffend analysiert und wollte Martín Zubimendi von Real Sociedad als Taktgeber verpflichten. Doch sein baskischer Landsmann zog einen Wechsel nach England zu Arsenal vor, und so muss der Coach mit dem Mittelfeldpersonal arbeiten, das er in seinem Kader vorgefunden hat.
Dem dynamischen Bellingham fehlen für das Spielmacher-Profil allerdings die nötige Übersicht und die Positionsdisziplin, dem zweikampfstarken Franzosen Aurélien Tchouaméni die Ballgewandtheit und Rhythmussicherheit, während Luka Modric mit seinen 40 Jahren nach Mailand abgegeben wurde.
Strategische Qualitäten bringt am ehesten der junge Türke Arda Güler mit, den Alonso trotz seinem eigentlich offensiveren Naturell zunehmend ins Zentrum rückt. Tatsächlich ist der hochbegabte Güler neben Courtois, dem formstarken Kylian Mbappé und dem resoluten Innenverteidiger Éder Militão bisher Leistungsgarant der Ära Alonso – so wie er zugleich das alte Manko personifiziert. Denn gegen Paris Saint-Germain im Halbfinal der Klub-WM (0:4) und Atlético war auch er mit der Spielorganisation überfordert.
Wann reicht es wieder einmal für einen Sieg gegen einen richtig grossen Gegner? Das ist die Frage, die den Anhang im prachtvoll renovierten Estadio Santiago Bernabéu umtreibt. Auch was die Arena selbst betrifft, läuft nicht alles nach Plan. Unter der Woche kassierte Real vor Gericht zum wiederholten Mal eine Niederlage gegen die Anwohner: Die vom Verein geplanten und von der Stadt bewilligten Parkhäuser unter dem Stadion dürfen nicht gebaut werden. Schon die Nutzung des Bernabéu für Konzerte hatten Klagen der Nachbarn unter Hinweis auf die Lärmbelästigung unterbunden. Real entgeht durch diese verpassten Nebengeschäfte jährlich ein zweistelliger Millionenbetrag.
Dennoch ist die Lage natürlich ungleich komfortabler als beim FC Barcelona mit seinen Milliardenschulden und dem immer noch in den Anfängen feststeckenden Umbau des Camp Nou. Während die Katalanen im Sommer nur 27,5 Millionen Euro in Neuzugänge investieren konnten und für das anstehende Wintertransferfenster schon den Verzicht erklärten, gab Real für Verteidiger wie Dean Huijsen oder Álvaro Carreras und Angreifer wie Franco Mastantuono knapp 170 Mio. Euro aus.
Die Madrilenen sind weltweit der einzige Fussballklub mit einem Umsatz von über einer Milliarde Euro und haben ihre Kredite für das Stadion unter Kontrolle. Da müssten sie den klammen, derzeit ausserdem ersatzgeschwächten Erzrivalen doch eigentlich dominieren können – statt ihm dauernd zu unterliegen. Den Trend zu brechen, obliegt am Sonntag dem Trainer Xabi Alonso.
nzz.ch




