Die Cockpits sind besetzt – jetzt buhlen die Formel-1-Teams um die besten Mechaniker und Techniker

Das Gerangel um die besten Spezialisten ist deshalb so intensiv, weil mit Cadillac ein neuer Rennstall einsteigt – und Sauber in der nächsten Saison zum Audi-Werksteam wird.
Elmar Brümmer, Austin
Mathieu Belanger / Reuters
Vor dem Grand Prix der USA sind auf dem Fahrermarkt der Formel 1 die letzten wichtigen Entscheidungen zur Zukunft gefallen. Mercedes geht mit George Russell und Kimi Antonelli in die nächste Saison, das steht vor dem Rennwochenende in Austin nun fest.
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Sämtliche Rennställe suchen vor dem technischen Reglementwechsel im Jahr 2026, der mit dem Teilumstieg auf Elektromotoren als einer der tiefgreifendsten in der Geschichte der Formel 1 gilt, die grösstmögliche Ruhe und Stabilität. Trotzdem müssen die Personalabteilungen Überstunden machen, denn an anderer Stelle dreht das Transferkarussell zurzeit besonders heftig: Die Nachfrage nach routinierten Technikern und Mechanikern ist enorm. Wegen der hohen Spezialisierung sind diese Jobs selbstredend nicht über die öffentliche Arbeitsvermittlung zu bekommen. Gewildert wird vorzugsweise bei den Konkurrenten, was für die Kandidaten in der Regel mit einer ordentlichen Gehaltserhöhung verbunden ist.
Cadillac wirbt aggressiv Spezialisten abAusnahmsweise geht es einmal nicht darum, dass sich Giganten wie Mercedes und Ferrari gegenseitig Top-Techniker abspenstig machen. Der Arbeitsmarkt ist vor allem deshalb so eng und umkämpft, weil mit Cadillac ein neuer Rennstall einsteigt und Sauber in der nächsten Saison offiziell zum Audi-Werksteam wird.
Zusammen ergibt das einen konservativ geschätzten Personalbedarf von mehreren hundert Mitarbeitern, der später allerdings eher im vierstelligen Bereich liegen wird. Top-Rennställe, die auch die Motoren selbst bauen, beschäftigen zwischen 1500 und 2500 Menschen. Zum Vergleich: Als Sauber 1993 erstmals in der Formel 1 an den Start ging, hatte das Unternehmen 70 Mitarbeiter; jetzt werden allein in der Schweiz zehnmal mehr Beschäftigte angestrebt.
Audi möchte im Rahmen seines Fünfjahresplans bis zum Titelgewinn schon bald die magische Tausendergrenze knacken. Bei den Abwerbeaktionen kommt es aber nicht nur auf die Masse, sondern vor allem auf die Klasse an. Offenbar ist dem Hinwiler Teamchef Jonathan Wheatley, der seit Anfang April auf dem Posten ist, nun ein weiterer Coup gelungen: Der Brite soll bei seinem ehemaligen Arbeitgeber Red Bull Racing den Nummer-eins-Mechaniker von Max Verstappen abgeworben haben.
Der Landsmann Matt Caller gilt seit Jahren als Garant für reaktionsschnelle Boxenstopps, zuletzt arbeitete er als Chef der Mechaniker-Crew. Diesen Posten soll er im Zuge einer Neuorganisation auch bei Audi einnehmen. Dort trifft er auf seinen alten Kollegen Lee Stevenson, der schon im Januar zu Sauber gewechselt ist. «Das Projekt nimmt Fahrt auf. Wir arbeiten daran, die richtige Organisationsstruktur zu finden», sagt Wheatley.
Parallel zur Wiedervereinigung der Briten entsteht bei Audi eine weitere strategische Achse. Mattia Binotto hat als Verantwortlicher für das Formel-1-Projekt des Ingolstädter Herstellers seine Beziehungen in die Motorenabteilung von Ferrari spielen lassen, in der er selbst jahrzehntelang tätig war. Die zwei Deutschen Wolf Zimmermann und Lars Schmidt wechseln die Marke. Zimmermann leitete das Rennmotorenprojekt in Maranello, Schmidt war führend in der Motorenentwicklung. Und auch der Windkanalexperte Ioannis Veloudis kommt im Tausch mit einem anderen Aerodynamiker aus Italien ins Zürcher Oberland.
Das sind Schlüsselpositionen in einem Formel-1-Team, deren sich kaum ein Zuschauer bewusst ist. Personalrochaden werden sonst nur bekannt, wenn es um Teamchefs oder den Ausnahmedesigner Adrian Newey geht, der von Red Bull zu Aston Martin wechselte. Newey allerdings operiert in einer ganz anderen, eigenen Preisklasse. Der Zustrom von Koryphäen bei Audi ist im allgemeinen Kommen und Gehen aber so bemerkenswert, dass er öffentlich werden musste.
Viele Teams versuchen aus Angst vor Abwerbungen, die Namen ihrer Spezialisten möglichst geheim zu halten. Bei Adam Baker ging das nicht. Der Brite hatte für Audi in Neuburg an der Donau das Formel-1-Programm aufgebaut, war nach Mattia Binottos Verpflichtung aber gegangen.
Mittlerweile hat Baker beim Newcomer Cadillac angeheuert, der ab dem kommenden Frühjahr zwar schon als elftes Team, ab 2029 dann aber auch mit einem eigenen Motor in der Formel 1 antreten wird. Das Geld für die Technik kommt von General Motors, jenes für das Personal von den zwei amerikanischen Milliardären Mark Walter und Dan Towriss. Die lassen in North Carolina eine eigene Fabrik entstehen, als Berater wurde auch der Schweizer Motoren-Guru Mario Illien verpflichtet.
Die Talent-Scouts von Cadillac fallen im Fahrerlager durch eine aggressive Vorgehensweise auf. Kein Wunder, denn der Zeitdruck ist hoch, die Zulassung für das Team kam erst im März. Für den Start werden deshalb viele Komponenten zugekauft, so übernimmt das nordamerikanische Team den frei gewordenen Leasingvertrag für Ferrari-Motoren von Sauber. Und auch bei den Fahrern geht der Teamchef Graeme Lowdon auf Nummer sicher: Er hat die vertragslosen Routiniers Valtteri Bottas und Sergio Pérez verpflichtet.
Doch in kurzer Zeit mussten vor allem Experten gewonnen werden, die anderswo unter Vertrag standen. Cadillac hat in Silverstone einen Stützpunkt aufgebaut, um auf dem britischen Markt fündig zu werden. Im mittelenglischen «Tal des Motorsports» sind drei Viertel aller Formel-1-Teams, die meisten Zulieferer und entsprechend viele Spezialisten und Talente von technischen Hochschulen zu Hause. Wer den Job wechselt, muss dann nicht einmal umziehen.
Das möchte sich künftig auch Audi zunutze machen. Auf halbem Weg zwischen London und Birmingham entsteht deshalb ein Technologiezentrum, in dem vornehmlich britische Ingenieure den Standorten Hinwil und Neuburg zuarbeiten. «Wir wollen ein Netzwerk schaffen, das uns vorantreibt», sagt Binotto.
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