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Der FC Winterthur wurde schon abgeschrieben – jetzt hat er gute Karten im Kampf gegen die Relegation. Wie hat der Klub das geschafft?

Der FC Winterthur wurde schon abgeschrieben – jetzt hat er gute Karten im Kampf gegen die Relegation. Wie hat der Klub das geschafft?
Realismus, selbst auf den Tribünen: eine Erklärung für den Winterthurer Aufschwung.

Christian Beutler / Keystone

Es ist noch nicht lange her, ein paar Wochen erst, da war in der Schweizer Super League so ziemlich jede Frage unbeantwortet, nur eine schien schon geklärt: Absteigen, das wird der FC Winterthur. 20 Punkte hatte der Klub nach 29 Spielen erst gesammelt. Platz zwölf, 7 Punkte hinter GC, 12 hinter Yverdon.

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Diese Woche sass Uli Forte, der Winterthurer Trainer, spät am Dienstagabend im Zürcher Letzigrund. Sein Team hatte verloren, 1:4 gegen den FC Zürich. Forte fand danach, dass das «ein guter Weckruf» für seine Spieler gewesen sei. Und das illustriert ziemlich schön, was mit dem FC Winterthur in jüngster Zeit passiert ist.

Gegen Zürich verloren die Winterthurer erstmals seit Wochen, sie stehen unterdessen bei 36 Punkten. Trotz dem 1:4 im Letzigrund, nach einem Spiel, das auch anders hätte verlaufen können, weil sie führten und mehrere gute Chancen auf das zweite Tor ausliessen. Derlei können sie sich nicht erlauben, zu schmal ist der Grat, auf dem sie wandeln.

Hat den FC Winterthur stabilisiert und emotionalisiert: der Trainer Uli Forte.

Michael Buholzer / Keystone

20 Punkte in 29 Spielen. Und dann 16 Punkte in 7 Spielen. Es ist eine erstaunliche Bilanz. Die Winterthurer Hausse hat der Super League einen Abstiegskampf beschert, den drei Klubs ausfechten dürften: Yverdon, GC und Winterthur. Dazwischen nur ein Punkt. Und noch zwei Spiele, die über Ligaerhalt, Barrage-Teilnahme und direkten Abstieg entscheiden.

Unterschiedliche Abstiegskandidaten

Die Konstellation ist reizvoll, auch, weil da drei Klubs aufeinandertreffen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. GC, der Klub mit der grossen Geschichte. Der Schweizer Rekordmeister, der diesem Titel schon lange nicht mehr gerecht wird und mittlerweile Teil von einem dieser internationalen Netzwerke ist, die in der Fussballbranche so im Trend liegen. Yverdon, der Klub vom Neuenburgersee. Kleines Stadion, kaum Zuschauer. Fussball-Provinz, eigentlich. Aber seit der Klub einem texanischen Unternehmer gehört, kann er Löhne zahlen, die Fussballer wie Antonio Marchesano anlocken.

Und eben der FC Winterthur, der seit vielen Jahren der lokalen Unternehmerfamilie Keller gehört, dieses Unikat im Schweizer Fussball, ein schützenswertes Kulturgut, wie die NZZ einmal schrieb. Das Motto: Friede. Freiheit. Fussball. Der in der Schützenwiese Fussball spielt, diesem Stadion, in dem die meisten Leute noch stehen und das fast immer ausverkauft ist – Zuschauerschnitt: rund 8100. In dem es eine Kunstgalerie gibt, den Salon Erika, und eine Sirupkurve für die kleinsten Fans.

Drei Jahre ist es jetzt her, dass die Winterthurer in die Super League aufgestiegen sind. Sie haben das damals mit einem gewissen Erstaunen zur Kenntnis genommen, das bis heute nicht ganz verschwunden ist. Und sich gefragt, ob der Klub bleiben wird, wie er war, wenn er in der obersten Liga mitspielt.

Ja, lautet die Antwort, bisher ist er das. Und jetzt, im Abstiegskampf, ist das sein grosses Kapital.

Sie geben nie auf: der Winterthurer Mittelfeldspieler Dario Ulrich im Spiel gegen den FC Zürich.

Am Montag sitzt Uli Forte auf der Haupttribüne der Schützenwiese. Der Trainer hat in seiner Karriere schon die halbe Super League trainiert, St. Gallen, GC, YB, den FC Zürich, wieder GC. Doch zuletzt war er nur noch in den Untiefen der Challenge League gefragt: Yverdon, Xamax, dazwischen ein kurzes, missratenes Gastspiel in Bielefeld.

Aus der Super League war Forte mehr als fünf Jahre verschwunden. Dann präsentierte ihn Winterthur an Weihnachten als Nachfolger von Ognjen Zaric, dem erst 36-jährigen Trainer, den der Klub im Sommer vom Assistenz- zum Cheftrainer befördert hatte. Ein Wagnis, das die Vereinsführung nach 3 Siegen in 18 Spielen beendete.

Mit Forte holten die Winterthurer den Gegenentwurf zum jungen Zaric. Einen erfahrenen, mit allen Wassern gewaschenen Trainer. Der Zürcher traf harte Entscheidungen, setzte etwa die Klub-Ikone Granit Lekaj als Captain ab. Installierte ein neues Innenverteidigerduo. Degradierte zuletzt den Königstransfer Fabian Frei auf die Ersatzbank.

Sie kultivieren das Aussenseitertum

Forte stabilisierte. Und er emotionalisierte. Als sein Team im Februar in kurzer Zeit von den Schiedsrichtern mehrmals benachteiligt wurde, stellte Forte Verschwörungstheorien in den Raum, Tenor: Man will den FC Winterthur nicht in der Super League. Als die Liga mit einer Sperre reagierte, verfolgte er den 1:0-Sieg gegen YB aus dem Winterthurer Fan-Block. Forte sei es damals darum gegangen, eine «Winkelried-Haltung» zu erzeugen, so stellt er das heute dar, «wir gegen alle anderen».

«Wir haben es immer noch in den eigenen Füssen»: der Mittelfeldspieler Matteo Di Giusto.

Wer nach Anhaltspunkten für den Winterthurer Aufschwung forscht, der findet einen wichtigen im geeinten Auftritt der Winterthurer. Forte spricht von Charakter, Mentalität, Persönlichkeit in seiner Mannschaft, mischt ein «unglaublich» dazu. Er redet gerne so, aber ohne diese Qualitäten ist der Winterthurer Aufschwung nicht zu erklären. Die Rückkehr des lange verletzten Alexandre Jankewitz ins Mittelfeld ist ein anderer Grund, die Form von Offensivspieler Nishan Burkart ein weiterer.

Und dann ist da, vor allem, die Anhängerschaft, die stets hinter dem Team stand, selbst nach dem 1:6 im Oktober im Heimspiel gegen Basel. In Winterthur wissen sie genau, was der Klub sein kann. Und was nicht. Er kultiviert das Aussenseitertum, und alle helfen mit. Kürzlich, als Winterthur auf der Schützenwiese 2:0 gegen die Grasshoppers gewann, mussten die GC-Spieler danach zur Aussprache vor der Fankurve antraben; sie geriet zur minutenlangen Standpauke, vorgetragen von einem Fan-Anführer, das Gesicht wutverzerrt.

So viel Negativität, so viel Spannung kennen sie in Winterthur nicht, und vielleicht gewann der Klub auch darum in den letzten Wochen irgendwann Spiele, die er vorher noch verloren hatte.

Lauern auf die Fehler der anderen

Oliver Kaiser, der Sportchef, sagt, in Winterthur seien alle realistisch, und dieser Realitätssinn verschaffe dem Klub eine gewisse Ruhe. Für die erste Mannschaft wendet der Klub 5,5 Millionen Franken auf. Das ist deutlich weniger als jeder andere Super-League-Klub. «Wenn die anderen alles richtig machen, ist es für Winterthur fast nicht möglich, sie zu überholen», sagt Kaiser.

Nur ist es natürlich so, dass nie alle alles richtig machen. Und Winterthur lauert auf Fehler. Mit einer Mannschaft, deren Qualität die Geschlossenheit ist. Mit Spielern, die den Klub kennen, ihn «annehmen», wie Kaiser das sagt, mit allem, was dazugehört, den Werten, aber auch dem Trainingsplatz, den der Sportchef als «katastrophal» bezeichnet.

Im Kader von GC stehen 16 Ausländer, in jenem von Yverdon 20. In Winterthur sind es 6. Die Spieler kennen sich. Die Liga. Den Klub. Auf der Schützenwiese betreut Dario Zuffi, einst Spieler und seit 2017 Assistenztrainer, auch Luca, seinen Sohn, der einst in Winterthur ausgebildet wurde, mit Basel mehrfach den Titel gewann und 2023 zurückgekehrt ist.

Verbindungen, Beziehungen, überall, auf dem Platz, neben ihm. Und jetzt noch zwei Spiele, beide daheim, auf der Schützenwiese, und schon ein Sieg am Samstagabend gegen Yverdon sichert zumindest den Barrage-Platz. Matteo Di Giusto, der Mittelfeldspieler, sagt nach dem 1:4 gegen Zürich: «Wir haben es immer noch in den eigenen Füssen.» Ja, das stimmt. Und nach allem, was war, ist das allerhand.

nzz.ch

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