Wie Xherdan Shaqiri Basel und die Fussball-Schweiz verzaubert


Michael Buholzer / Keystone
Warum braucht es einen Papst, wenn man Shaqiri hat? «Habemus Xherdan», stand am letzten Sonntag auf einem riesigen Leintuch im Basler St.-Jakob-Park, dazu gab es weissen Rauch aus der Fankurve. Shaqiri lacht kurz auf, als er nach dem 3:2 gegen Lausanne darauf angesprochen wird. Er habe es gar nicht gesehen, ein FCB-Mitarbeiter habe ihm das Foto gerade gezeigt. «Glücklich» sei er, mit der Mannschaft die FCB-Fans «glücklich gemacht» zu haben, sagt er und strahlt.
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Der FCB steht gegen Biel im Cup-Final, in der Meisterschaft müsste es mit dem Teufel zugehen, würde der FCB die sechs Punkte Vorsprung für den Titelgewinn noch wegschenken. In Basel herrscht nach sieben Jahren biblischer Dürre rotblaue Glückseligkeit. Dank ihm, dem Märchenprinzen Xherdan Shaqiri, grösser als der Papst.
Natürlich ist das übertrieben, aber Übertreibung gehört zum Fussball wie der Vatikan nach Rom. Denn Shaqiri schreibt in Basel gerade eine Geschichte, die so himmlisch anmutet wie ein Märchen, das sich in Wirklichkeit verwandelt. Venit, vidit, vicit, würde man in Rom sagen. Er kam, sah, siegte. Noch nie hat ein einzelner Spieler die Liga so dominiert wie Shaqiri in den Monaten, seit er im August zu seinem Jugendklub heimgekehrt ist. Nicht nur seine Mannschaft macht der 33-Jährige um eine Klasse besser, auch weit über Basel hinaus beschert Shaqiri dem eher biederen Schweizer Fussball-Betrieb Glanz und Gloria.
Im St.-Jakob-Park, aber auch in Bern, Zürich, Yverdon oder Winterthur richten sich alle Augen auf Shaqiri. Nimmt er Anlauf für einen Corner oder Freistoss, wird die Atmosphäre sofort elektrisch, und die Gegner werden nervös, weil sich das ganze Stadion fragt, welcher Zauberstreich aus Shaqiris linkem Fuss fahren wird. Auch wenn er sich weit weg vom Ball am Spielfeldrand oder irgendwo vor dem eigenen Tor aufhält, strahlt Shaqiri stets aus, dass er etwas im Schilde führt, einen kleinen Schabernack oder den grossen Pass in einen offenen Raum.
Tore, wie sie nur Shaqiri schiesstUnterdessen führt Shaqiri längst die Rangliste der Skorerpunkte an, 34 sind es momentan in der Liga und im Cup. Die Zahlen beeindrucken, aber sie zeigen nicht, dass seine Tore und Zuspiele fast immer entscheidend sind.
Und vor allem zeigen sie nichts von dem Zauber, wie Shaqiri etwa im Letzigrund das 2:0 gegen den FC Zürich erzielt hat: kurzes Dribbling, aus spitzem Winkel ein Hammerschuss an die Lattenunterkante, Pfosten, Tor. Zum Glück gibt es Instagram und Youtube für den Nachweis, dass es nur einen Schweizer Spieler gibt, der immer wieder solche und ähnliche Tore schiesst: Xherdan Shaqiri.
Für seine Zaubertricks war er schon weltberühmt, bevor er zum FCB zurückkehrte. Für die Schweizer Nationalmannschaft schoss er an der WM in Brasilien einen Hattrick, an der EM 2016 gegen Polen den berühmten Seitenfallzieher, an der WM in Russland den Siegtreffer gegen Serbien. Und so weiter. Vor dem Rücktritt aus der Nationalmannschaft im letzten Sommer schoss er beim 1:1 gegen Schottland an der EM bereits ein Goal, zu dem dem Goalie Yann Sommer nur einfiel: «Typisch Shaq» – aus 25 Metern direkt unters Lattenkreuz.
Wegen dieser Momentaufnahmen ist Shaqiri in der Schweiz so bekannt wie Christoph Blocher oder Roger Federer, mindestens. Nun beschenkt er auch den FCB mit seinen Shaqiri-Momenten. In Basel hat sich überdies eine Seite zu den besonderen Augenblicken gesellt, für die Shaqiri in all den Jahren nicht sonderlich bekannt war: die Qualität als Führungsspieler.
Die Rolle des Teamleaders hatte Shaqiri immer wieder einmal beansprucht. Ausgefüllt hat er sie aber nie: In der Nationalmannschaft waren es Granit Xhaka oder früher Stephan Lichtsteiner, die das Team führten. Shaqiri war stets für die besonderen Momente zuständig, «die Kirsche auf der Torte», wie die NZZ einmal schrieb.
Ähnliches gilt auch für seine Rolle in den grossen Vereinen wie Bayern München, Inter Mailand oder Liverpool. Shaqiri war zwar dabei und trug ein künstlerisches Scherflein als putziges Genie bei, aber andere wie Franck Ribéry und Arjen Robben in München oder Mo Salah und Roberto Firmino in Liverpool trugen die Teams zu den grossen Erfolgen. Es ist neu, dass Shaqiri nun das ganze Team mitreisst und durch die ganze Saison trägt.
Das war am Anfang nicht abzusehen, auch wenn Qualität und Konkurrenz im FCB-Kader nicht vergleichbar sind mit Weltklubs wie Bayern oder Liverpool und die Anforderungen in der Schweiz in jeder Beziehung viel tiefer sind als in der Bundesliga oder in der Premier League.
Dennoch fällt auf, dass Shaqiri zum ersten Mal in seiner langen Karriere in einer Saison noch nie verletzt gefehlt hat. Das hat vielleicht mit Glück zu tun, Shaqiri hat vor allem in der faustdicken Wadenregion eine empfindliche Muskulatur. Zudem stand er stets in dem Ruf, nicht immer alles für seine Fitness zu unternehmen, wenn er etwas ins Abseits geraten und gerade der Spass an der Freude abhandengekommen war.
Nun hat er in Basel offensichtlich alles unternommen, um auch mit 33 Jahren physisch bereit zu sein. Seine Erfahrung und die medizinische Abteilung im FCB mögen ihren Teil dazu beigetragen haben. Vor allem aber scheint Shaqiri vom ersten Tag an gespürt zu haben, dass es in Basel für den Zauberwürfel Shaq-Attack nur eine Option geben kann: den Mittelpunkt. Voraussetzung dafür ist, fit zu sein. Dafür hat er gearbeitet. Denn schon am ersten Tag hatte er sich die Messlatte hoch gelegt.
Liebe geben, Liebe bekommenEr wolle «in den kommenden drei Jahren wieder Titel gewinnen», hatte er bei seiner Vorstellung gesagt. «Typisch Shaqiri», war man geneigt zu denken und erinnerte sich an einen FC Basel, der zehn Monate vorher Tabellenletzter war und im Chaos versank. Nun steht er mit seinem FCB kurz davor, bereits im ersten Jahr sein Ziel zu erreichen. Der Trainer Fabio Celestini hat die Mannschaft umgebaut und auf Shaqiri ausgerichtet, die anderen Spieler haben rasch gespürt, wie sie sich nach dem Captain ausrichten müssen für den Erfolg.
Das hat alle Erwartungen übertroffen, niemand redet mehr vom nach Winterthur entsorgten Rekordspieler Fabian Frei oder vom kaltgestellten Taulant Xhaka. Der FCB ist nicht mehr David Degens gesichtslose Trading-Company für Transfer-Aktien statt Spieler, niemand regt sich über den neuen Hauptsponsor auf. Als FC Shaqiri ist der FC Basel wieder der Klub, für den «tout Bâle» ins Joggeli strömt und dem heimgekehrten Xherdan Liebe schenkt.
Denn nicht Titel und Trophäen sind es, die Shaqiri zur Heimkehr nach Basel getrieben haben, sondern Liebe. Bekommt er Liebe, ist er glücklich, ist er glücklich, spielt er gut. Weil das so einfach ist und gleichzeitig auf so hohem Spektakel-Niveau stattfindet, ist es ein grosses Geschenk für Basel und die Fussball-Schweiz, Xherdan Shaqiri zu erleben, wie er Liebe gibt und wie er Liebe bekommt.
Ganz ähnlich, wie das an Ostern und Weihnachten der Papst macht, wenn er auf dem Petersplatz zur Stadt Rom die Menschen segnet. In Basel heisst der Ort der Segnung Barfüsserplatz, bald dürfte Shaqiri dort auf dem Meister-Balkon stehen. Wer weiss, vielleicht sieht Shaqiri dann auch mit eigenen Augen ein riesiges Leintuch mit der Aufschrift: «Habemus scyphum». Was das heisst? Wir haben den Pokal.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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