Sheffield gilt als graue Arbeiterstadt im englischen Norden. Jetzt droht sie auch noch die Snooker-WM zu verlieren


«Sheffield loves snooker», ist fast überall im Stadtzentrum auf Plakaten, Schildern und Stickern zu lesen. So will die graue Arbeiterstadt im englischen Norden zum Ausdruck bringen, dass sie die Snooker-WM wertschätze, die im eigenen Stadttheater Crucible ausgetragen wird.
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Die WM endet am Montag mit dem Final zwischen dem Chinesen Zhao Xintong und dem Waliser Mark Williams. Das Turnier ist die grösste Attraktion in Sheffield, zieht 12 000 Besucher an und bringt der klammen Lokalverwaltung jährlich 4,5 Millionen Pfund (5,3 Millionen Franken) ein. Die Einwohner Sheffields sind stolz auf die WM, sie ist quasi unabdingbar, weil man ohne sie kaum Aufmerksamkeit abbekommen würde.
Allerdings könnte Sheffield den prestigeträchtigen WM-Event bald verlieren. Barry Hearn, der Präsident seiner eigenen Vermarktungsagentur Matchroom, die das professionelle Snooker weitgehend organisiert und kontrolliert, lobbyierte unlängst gegen eine Verlängerung des 2027 auslaufenden Vertrags mit der Stadt.
Die Einrichtungen des ehrwürdigen Crucible, das die WM seit 1977 durchgehend beherbergt, seien nicht mehr zweckmässig, kritisierte der 76-Jährige. Er forderte von der anderen Seite mehr Respekt ein und den zeitlichen Entwicklungen mehr Achtung entgegenzubringen.
Im Wesentlichen geht es um die zukünftige Ausrichtung des Snooker-Spiels. Selbst der Sport, der Ruhe, Präzision und Konzentration erfordert, ist vom zermürbenden Zwiespalt zwischen Tradition und Kommerzialisierung betroffen. Da die WM das Jahres-Highlight im Snooker-Kalender darstellt, möchte Hearn den Anlass monetarisieren. Im Unterschied zu den meisten Organisationen, die eine Sportart verwalten, besitzt Matchroom keine traditionellen Verbandsstrukturen, sondern ist eine kommerzielle Einrichtung. Ihr Portfolio umfasst neben Snooker auch Darts, das durch geschickte Vermarktung einen enormen Aufschwung erlebt hat.
Die Differenzen betreffen auch das Fassungsvermögen des Crucible, das nicht mehr als 980 Zuschauer aufnehmen kann. Die Kapazität begrenzt die Einnahmen aus Ticketing, Merchandising und Verpflegung. Laut Angaben von Matchroom würden sich zwischen 2500 und 3000 Eintrittskarten für die meisten der zusammengerechnet 43 Spiel-Sessions in den zwei Turnierwochen verkaufen lassen.
Die Sache sei eindeutig, erklärte Hearn ohne Umschweife: Es gehe natürlich ums Geld, die finanziellen Aspekte müssten berücksichtigt werden. Zurzeit «verhungert» man, findet er. Hearns gewohnt scharfe Wortwahl soll Sheffield unter Druck setzen und zum Einlenken bewegen.
Eine Lösung wäre, das Crucible zu renovieren und auszubauen – wobei die Stadt Sheffield die Kosten dafür sicher nicht allein tragen könnte. Der Schauplatz wird sonst für Theatervorstellungen genutzt und ist während der WM geschlossen. Zwar würde eine Rundumerneuerung auch den Einwohnern Sheffields zugutekommen, doch es erscheint fraglich, ob ausserhalb der Snooker-Spiele überhaupt Bedarf daran besteht. China und Saudiarabien treten mit verlockenden Angeboten als Alternativen zu Sheffield für die künftige WM-Gastgeberrolle an.
Mögliche Mehrerlöse sollen dazu dienen, das Preisgeld für die Spieler zu erhöhen. Zurzeit beträgt die Auszahlung an der WM 2,4 Millionen Pfund, wovon der Sieger eine halbe Million erhält. Hearn hat die Vorstellung, dass der Weltmeister fortan doppelt so viel bekommt. Auf diese Weise soll bei jungen Talenten der Anreiz gefördert werden, eine Laufbahn im Snooker anzustreben.
Dabei dient die Darts-WM als Vorbild, bei der ab der nächsten Auflage durch ein erweitertes Teilnehmerfeld erstmals knapp fünf Millionen Pfund ausgeschüttet werden. Die Sportart gewann an Bedeutung, als sich der Austragungsort der WM einst änderte: 2008 zog die Szene von der Circus Tavern am äusseren Rand Londons in den wesentlich grösseren und zentral gelegenen Alexandra Palace um. Dort passen rund 3000 Zuschauer hinein. Es wird inzwischen sogar erwogen, an eine noch grössere Spielstätte zu wechseln oder die WM eventuell gar ins Ausland zu vergeben.
Die Standortfrage führt zu verschiedenen Meinungen in der Snooker-Szene. Einerseits schätzen die Spieler und Fans die Geschichte des Crucible, das als spirituelle Heimat des Snookers gilt. Wegen der begrenzten Räumlichkeiten der Spielhalle ist eine spezielle Atmosphäre gegeben, in der die Zuschauer den Protagonisten so nah sind wie in kaum einer anderen Sportart. Auch Hearn teilt diese Ansicht, indem er stets seine persönliche Verbundenheit zum Crucible ausdrückt.
Anderseits sind der bisweilen marode Zustand des Gebäudes und seine nicht ausreichende Vermarktbarkeit ebenso offensichtlich. Ein WM-Teilnehmer beschwerte sich im vergangenen Jahr über den schlechten Geruch und darüber, dass der Übungsraum einer Garage ähnle.
Am vergangenen Donnerstag haben sich die Vertreter von Matchroom und Sheffield Council zu Annäherungsgesprächen getroffen. Von diesen berichtete Hearn, dass er glaube, ein Kompromiss könnte erreicht werden, so dass die Snooker-WM im Crucible verbleibt.
Seine Hoffnung setzt er auf die Unterstützung der britischen Regierung, an die man sich wenden müsste, findet er. Die Beteiligten planen, sich in drei Monaten erneut zusammenzusetzen, um dann über die Vorschläge zu beraten. Die Nachrichtenplattform «Sheffield Tribune» kommentierte, dass das «Snooker-Psychodrama» aufhören müsse, weil die «alljährliche Debatte ‹Werden sie, werden sie nicht›» alle in Sheffield mürbe mache.
nzz.ch