Im Himmel von Tokio – Armand Duplantis krönt den WM-Titel mit seinem 14. Weltrekord


Man könnte glauben, der Stabhochsprung sei zu einer langweiligen Disziplin geworden. Armand Duplantis, den alle Mondo nennen, springt meistens in einer eigenen Welt. Doch er bietet dem Publikum grandiose Flugshows, unterhält es mit Gesten und Mimik. Und wenn der letzte Gegner geschlagen ist, lässt er eine Weltrekordhöhe auflegen. So auch in Tokio. Die 6,30 Meter musste er sich allerdings erarbeiten, er schaffte sie erst im dritten Versuch.
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Mit 25 Jahren ist er nun bereits dreimaliger Weltmeister und zweifacher Olympiasieger. Und es sieht so unsagbar leicht aus, wenn er sich in die Höhe schraubt. Hin und wieder leistet er sich den Spass, auf einer niedrigen Höhe voll zu springen, dann scheint er einen Meter über der Latte zu schweben, bevor er sich wieder zurück ins Stadion fallen lässt. Alles, was weniger als 6 Meter ist, bedeutet für den 25-Jährigen reine Routine.
Sergei Bubka übersprang diese magische Grenze vor 40 Jahren, und seither sind ihm trotz technischen Entwicklungen und Verbesserungen im Training weltweit keine dreissig Athleten in diese Dimension gefolgt. Duplantis aber hat in seiner noch jungen Karriere unglaubliche 122 Sprünge über 6 Meter und mehr gezeigt, den ersten mit 18 Jahren.
Ist Duplantis bereits grösser als Bubka?Trotzdem kann man noch darüber diskutieren, wer der grösste Stabhochspringer der Geschichte ist. Bubka war der Mann, der die Disziplin massiv entwickelte. 1984 sprang er mit heute bescheiden erscheinenden 5,85 erstmals Weltrekord. Danach pushte er die Grenzen fast über Jahre hinweg, zunächst im Trikot der Sowjetunion, später für die Ukraine. Zwischen 1983 und 1997 wurde er sechsmal in Folge Weltmeister.
Weil zu Bubkas Zeit separate Rekorde für Halle und Freiluft geführt wurden, konnte der Zar der Lüfte jeden Rekord zweimal springen. Er entwickelte eine Taktik, an die sich heute auch Duplantis hält: immer nur einen Zentimeter drauflegen und so möglichst viele Rekordprämien kassieren. So totalisierte Bubka 35 Rekorde, zuletzt war er bei 6,14 Metern angelangt.
Es dauerte 20 Jahre, bis der Franzose Renaud Lavillenie diesen Rekord brach. Nur er und Duplantis sind je höher geflogen als Bubka. Duplantis hat inzwischen 14 Rekorde in seinem Palmarès, vier davon sprang er allein in diesem Jahr. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Schwede noch nicht an seinem Limit angelangt ist.
Vor drei Jahren sagte er bei einem Gespräch in Zürich, es gebe in jeder Disziplin eine absolute Grenze. «Und ich denke, dass ich ziemlich gut dafür geschaffen bin, diese im Stabhochsprung auszutesten.» 6,30 Meter wären schon einmal cool, meinte er damals, als sein Rekord noch bei 6,21 stand. Nun denkt er wohl bereits in neuen Dimensionen.
Sein Vater Greg, der ihn seit je trainiert, hat diese bereits angedeutet: Mondo könne gegen 6,40 springen, vielleicht sogar darüber, sagte er in einem Interview für Red Bull, einen Sponsor seines Sohns. Der Vater war vor rund dreissig Jahren selbst ein leidlicher Stabhochspringer mit einer Bestleistung von 5,80. Diese überbot sein Sohn bereits mit 17 Jahren.
Mondo Duplantis packte die Lust am Fliegen früh, mit drei Jahren hüpfte er zu Hause mit dem Besenstiel herum. Seine Leidenschaft wurde gefördert vom Vater, der zu Hause im Garten eine Sprunganlage installierte und alle seine drei Kinder in den Stabhochsprung einführte. Das Training ist beim Weltrekordhalter nach wie vor eine Familienangelegenheit: Vater Greg ist fürs Technische zuständig, Mutter Helena, eine frühere Siebenkämpferin, schreibt die Trainingspläne, leitet das Krafttraining und ist auch noch ausgebildete Ernährungsberaterin.
In dieser Familien-AG wird jedes Detail optimiert, damit der Sohn noch höher fliegt. Auch wenn bei ihm alles so einfach aussieht, sagt Duplantis: «Jeder Zentimeter mehr ist harte Arbeit.» Allerdings sagte er im Gespräch vor drei Jahren auch: «Natürlich braucht es Training, Schweiss, Hingabe. Aber am Ende macht eben doch das Talent den Unterschied.»
Zu diesem Talent gehört der natürliche Speed, den Duplantis mitbringt. Stabhochsprung hat viel mit Physik zu tun, es geht darum, die Energie aus einem schnellen Anlauf an den Stab zu übergeben, so dass sich dieser biegt und nach dem Absprung als Katapult wirkt. Je härter der Stab, den man zu biegen vermag, desto mehr kommt zurück.
Duplantis macht auch als Sprinter eine gute FigurWie schnell Duplantis ist, zeigte sich 2024 in einem grossen Show-Rennen bei Weltklasse Zürich. Am Vorabend des eigentlichen Meetings trafen sich auf der Bahn zwei Weltrekordhalter zum Duell: der Langhürdler Karsten Warholm und der Stabhochspringer Duplantis. Die beiden hatten sich schon länger darüber ausgelassen, wer wohl mehr Speed habe, nun sollte ein Sprint über 100 Meter die Klärung bringen. Die meisten Experten tippten auf Warholm – doch es siegte Duplantis. Seine Zeit von 10,37 Sekunden war beachtlich.
Und dennoch arbeitet er immer noch daran, besser zu sprinten; mehrere Trainings pro Woche sind diesem Ziel gewidmet. Der Athlet sagt, in seiner Disziplin müsse man Sprinter, Weitspringer und Akrobat sein. Doch wenn der Anlauf nicht stimmt, helfen Sprungkraft und Koordination nicht viel. Kommt Duplantis hingegen schnell zum Absprung, braucht es den Flow, um alle Energie in Höhe umzusetzen.
Mit Fliegen habe das wenig zu tun, sagt er. Erst wenn er über die Latte hinweg sei, könne er für einen kurzen Moment Glücksgefühle geniessen. Er tat das auch in Tokio, um eine Goldmedaille und Prämien von 170 000 Dollar reicher.
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